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“Nine Eleven hat das amerikanische Rechtsbewusstsein verschoben”

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In den USA werden die Enthüllungen, dass die NSA auch die Staats- und Regierungschefs der europäischen Verbündeten systematisch abhört, offenbar hauptsächlich als Problem der politischen Opportunität wahrgenommen und nicht als rechtliches Problem. Wie erklären Sie sich das?

Dafür gibt es hauptsächlich zwei Erklärungen. Zum einen ist in Amerika die Vorstellung verbreitet, die amerikanische Verfassung schütze die US-Bürger vor ihrem Staat. Gegenüber Ausländern dürfe er sich mehr herausnehmen, vor allem wenn es dem Schutz der Amerikaner diene. Viele nehmen sogar an, dass die amerikanische Staatsgewalt nur auf dem Territorium der USA an die Verfassung gebunden sei. Das ist nicht unumstritten, aber doch eine häufig vertretene Ansicht. Zum anderen hat die Erfahrung von “Nine eleven” das amerikanische Rechtsbewusstsein verschoben. Der Schutz vor Terroranschlägen wird heute als Rechtfertigungsgrund für vieles betrachtet, was früher als verboten gegolten hätte. Auch das ist nicht unkontrovers, aber ebenfalls weit verbreitet.

Ist die Tätigkeit ausländischer Geheimdienste, ob solche von verbündeten Staaten oder nicht, überhaupt ein juristisch fassbarer Vorgang?

Juristisch fassbar ist er durchaus. Wenn es sich um ein Vorgehen handelt, das nach dem Recht des Staates, auf dessen Territorium es stattfindet, rechtswidrig ist, dann gilt dieses Verbot auch für ausländische Geheimdienste, es sei denn der betreffende Staat habe es ihnen durch Abkommen erlaubt. Wenn ein solches Verbot nicht existiert, kann man es im Weg der Gesetzgebung schaffen. Man kann auch mit dem abhörenden Staat einen Vertrag schließen, der die Tätigkeit untersagt. Die Schwierigkeiten liegen eher auf der tatsächlichen Ebene. Technisch ist es möglich, Kommunikationen, die auf dem Territorium eines Staates stattfinden oder von diesem ausgehen oder in ihm empfangen werden, abzuhören, ohne dass das Staatsgebiet betreten werden muss. Und wenn Rechtsnormen bestehen, gesetzliche oder vertragliche, dann bleibt noch immer die Schwierigkeit, die Rechtsverstöße zu entdecken. Ohne Snowden haetten wir alles, was uns jetzt in Aufregung oder Empörung versetzt, nicht gewusst.

Manche spekulieren, die Bundesregierung dulde stillschweigend die Praxis der NSA bzw. sei aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen aus der Nachkriegszeit dazu sogar verpflichtet. Darf sie das verfassungsrechtlich überhaupt dulden, geschweige denn sich zu einer solchen Duldung verpflichten? Wo verlaufen da die Grenzen, die das Grundgesetz zieht?

Auch die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik ist an das Grundgesetz gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat schon häufiger völkerrechtliche Verträge der Bundesrepublik mit anderen Staaten auf ihre Vereinbarkeit mit der deutschen Verfassung überprüft.

Kann man nach der NSA-Affäre noch vernünftigerweise hoffen, den globalen Kampf der politischen und wirtschaftlichen Interessen in eine regelgebundene Ordnung zu überführen?

Ein einzelner Staat kann das von vornherein nicht. Die Regelungen, die er setzt, gelten nur für seine Organe oder auf seinem Territorium. Global agierende Akteure, gleichviel ob politische oder wirtschaftliche, müssen global kontrolliert werden. Wo der Territorialbezug schwindet, steht der einzelne Staat auf verlorenem Posten. Damit ist die nationale Politik auf den Verhandlungsweg verwiesen, und da begegnen wir den bekannten Problemen. Wer unter den Ausspähungspraktiken leidet, wird regelungsbereit sein, wer davon profitiert nicht. Selbst wenn diejenigen Staaten, denen die Grundrechte etwas wert sind, sich einigten, blieben noch die vielen anderen übrig. Das ist aber kein Grund, gar nicht erst den Versuch internationaler Übereinkommen zu machen. Man muss sich freilich darauf einstellen, dass solch große Vorhaben nur in kleinen Schritten zu verwirklichen sind.

Sollte die NSA-Affäre für uns ein Anlass sein, endlich mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union Ernst zu machen?

Es muss vielleicht nicht gleich die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik sein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die in Vorbereitung befindliche Datenschutzverordnung der EU auf die neuen Erkenntnisse antwortete und dann alsbald in Kraft gesetzt würde. Das wäre einer dieser kleinen Schritte.

Die Fragen stellte Maximilian Steinbeis.

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